Vom sich Erkennen zum einander wertschätzend Begegnen

Was uns meiner Meinung nach in der Gesellschaft aktuell fehlt und über die Zeit abhandengekommen ist, das ist Menschlichkeit im Miteinander und ein Füreinander; für einander da sein und einander menschlich begegnen.

Die eine Frage hierzu, die ich versuchen möchte zu beantworten, ist das Warum.

Die bedeutendere und weiterführende Frage für mich ist aber vielmehr, wie können wir alle gemeinsam ein gesellschaftliches Miteinander wieder herbeiführen und bekräftigen?

Kurz gesagt: mit Liebe und Offenheit. „Liebe deinen Nächsten“ ist als Ausdruck besetzt, stark aufgeladen und zu einem Allgemeinplatz verkommen. Dennoch steckt in dieser Aufforderung so viel Wahrheit. Die Kernbotschaft entfaltet sich allerdings erst in der Ergänzung „… wie dich selbst.“

Wir müssen dringend wieder lernen, uns selbst zu lieben und auf das zu schauen, was wir als Individuum und Mensch sind.

Was habe ich erreicht? Was macht mich aus und was kann ich?

Daraus sollten wir zunächst einmal Glück und Zufriedenheit für uns selbst gewinnen, denn jeder von uns hat vieles erlebt, erreicht und kann bestimmte Dinge daher besser als andere; als andere Dinge, nicht als andere Menschen.

Immer wird jemand in etwas besser sein als man selbst, aber das ist doch gar nicht schlimm!

Wir sollten aufhören, auf andere zu schauen und zu kritisieren oder zu neiden.

Wir sollten uns zuerst auf uns selbst fokussieren und unser eigenes Zufriedenheitsgefühl, bevor wir unser Augenmerk nach außen richten.

Das soll keinesfalls das Streben nach einem Mehr oder einem Besser negieren. Vielmehr sollten wir uns zunächst bewusst machen, wo wir für uns selbst stehen und dies bejahend anerkennen.

Dadurch lässt sich das Vorwärts-und-hinauf-Streben viel leichter aktiv gestalten. Bewusst können wir so erkennen, was wir als Nächstes für uns erreichen wollen. Aber eben nicht, weil wir eine Lücke empfinden oder es anderen nicht gönnen. Sondern weil wir achtsam erkennen können, dass wir das für uns selbst wollen und wir davon erfüllt sein werden, dieses Ziel zu erreichen. Wir steigern somit also unser Glück und unsere Zufriedenheit.

Das kann dann alles Mögliche sein, zum Beispiel eine neue Sprache lernen, eine berufliche Veränderung oder andere Menschen kennenlernen.

So würden sich glückliche und zufriedene Menschen begegnen, frei von Misstrauen, Neid und Missgunst. Es könnte eine Offenheit und Zugewandtheit im Miteinander entstehen, die es ermöglicht, den Gegenüber zu erfahren und zu sehen.

Was kann uns als Gesellschaft noch helfen, wieder zu einer Gemeinschaft zu finden?

Zunächst sollten wir uns noch einmal vergegenwärtigen, dass wir in einem regelbasierten, sozialen Ordnungssystem leben. Das Grundgesetz legt dies mit Rechten und Pflichten für einen jeden Staatsbürger dar, sowohl für Staatsangehörige als auch für zeitweilige und dauerhafte Gäste. Ergänzt wird es durch weitere rechtliche und gesellschaftliche Normen und Gebote, um in der Gesamtheit unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO) zu bilden.Auf diese kann man zurecht stolz sein.

Die Würde eines jeden Menschen steht unantastbar im Mittelpunkt der FDGO. Was aber heißt das?

Das heißt, dass ein jeder Mensch mit Achtung, Respekt und Wertschätzung zu betrachten ist und genau so sollten wir einander wieder begegnen.

Der oder die Gegenüber ist ein achtenswerter Mensch und verdient unseren Respekt und unsere Wertschätzung. Vorbehaltlos, ohne Vorurteile, gilt es deshalb einander mit Liebe zu begegnen, weil wir alle zusammen als Menschen uns diesen Planeten, dieses Land, diesen gesellschaftlichen Raum teilen. Und beim Teilen hat jeder den berechtigten Anspruch darauf, den gleichen Anteil an diesem Raum haben zu dürfen.

Nicht, gewährt zu bekommen, nicht zugeteilt oder verwaltet. Dieser Anspruch ist universell und besteht aus unserem gemeinschaftlichen Gesellschaftsvertrag heraus.

Ein jeder ist ein gleichwertiges Mitglied unserer Gesellschaft und jede Stimme hat das gleiche Gewicht im Konzert der individuellen Artikulation von Meinungen, Bedürfnissen, Ansichten und Willensbekundungen. Das bedeutet, dass wir einander zuhören müssen. Jede Stimme muss ihren Raum einnehmen dürfen, niemand sollte stumm geschaltet werden oder ein Megafon erhalten.

Wir können uns selbst natürlich aussuchen, welchen Stimmen wir dabei genauer oder länger zuhören und vielleicht sogar mit unserer eigenen Stimme antworten. Es hat aber jede Stimme verdient, dass man ihr zuhört.

Und vielleicht ist es genau das, was wir verlernt haben. Das Zuhören.

Das schafft Probleme und lässt einsame, nicht beachtete Menschen zurück, bis es ihnen vielleicht egal wird, wer ihnen zuhört und sich ihrer annimmt. Hauptsache, jemand tut es überhaupt.

Wir sind in unserer Gesellschaft und in unserem Diskurs sehr laut und hektisch geworden. „Wer lauter ist, hat Recht.“ Wer lauter ist, bestimmt das Meinungsbild. Wer lauter ist, dem wird zugehört und auf den wird reagiert.

Macht das wirklich Sinn in einer Gesellschaft aus gleichwertigen und vielfältigen Individuen?

Ich glaube nicht!

Aber warum sind bestimmte Menschen lauter als andere? Warum sind Menschen leiser als andere oder sind gar verstummt, während manche scheinbar nur noch schreien?

Ich glaube, dass die empfundene fehlende Wahrnehmung hierbei großen Anteil hat. Wenn ich das Gefühl habe, dass mir niemand zuhört und mich als Mensch und Teil der Gesellschaft wahrnimmt, dann werde ich immer leiser oder immer lauter, in der Hoffnung, doch endlich einmal wahrgenommen zu werden.

Schlussendlich führt das zu einer zunehmenden Isolation, Resignation und Radikalisierung.

Wer hört schon gern einem Menschen beim Schreien zu? Man will rufen: Sei still. Sei doch endlich mal still.

Der Schreiende will doch aber nur wahrgenommen werden und versteht, dass er es jetzt endlich geschafft hat. Es war laut genug, um eine Reaktion zu erzeugen. Das ist dann die notwendige Lautstärke im Gesamtkonzert, um sich Gehör zu verschaffen. Also wird das die Verständigungslautstärke.

Das bekommen dann andere Menschen auch mit, die ebenfalls gehört werden wollen und erhöhen ihrer Lautstärke so lange, bis sie ebenfalls gehört werden.

Ein Teufelskreis, denn entweder platzen uns irgendwann die Trommelfelle oder alle schreien einander gleichermaßen laut an.

Ein fast unerträgliches Bild, aber genau das können wir jeden Tag um uns herum beobachten. Menschen schreien sich an, weil sie nicht mehr wissen, wie sie sonst gehört werden sollen. Sie haben zu lange das Gefühl empfunden, dass ihnen niemand zuhört, nicht „die da oben“, nicht der Gegenüber.

Es ist aber auch das Gefühl verloren gegangen, dass wir gleichwertige Mitglieder unserer Gesellschaft sind. Das fühlt sich nicht gut an und erzeugt Unfrieden und Unruhe in einem Menschen.

Ähnlich schlimm wirkt sich das zunehmende Verstummen der Stimmen aus, wenn sich Menschen nicht wahrgenommen fühlen und das Gefühl zunimmt, dass doch eh niemand zuhört. Dieses diffuse Gefühl des Desinteresses wirkt dann auch auf einen selbst zurück. Wenn mir niemand zuhört und keiner ein Interesse an mir hat, wie kann ich dann interessant sein? Wie kann ich Glück und Zufriedenheit empfinden, wenn ich augenscheinlich nichts kann und mich nichts ausmacht, was mich interessant genug macht, dass man mir zuhört?

In einer solchen Abwärtsspirale erscheint dann jeder Zuhörer als rettender Strohhalm und Lichtblick im Dunkeln und das öffnet radikalen und extremen Positionen Tür und Tor. Die psychologischen Mechanismen, die hierbei wirken, sind denkbar einfach. Sie wirken auf der Ebene unserer Grundbedürfnisse als soziales Wesen Mensch. Wir wollen uns einer Gemeinschaft zugehörig fühlen, wir wollen wahrgenommen werden und füreinander da sein. Sind radikale und extreme Positionen dann auch noch gut verpackt, schlucken wir diese bittere Pille schneller als wir glauben oder für möglich gehalten haben, ja vielleicht sogar ohne den bitteren Nachgeschmack überhaupt zu spüren.

Das ist gefährlich, denn so verändern sich Menschen in einer Weise, die ungesund für unsere Gesellschaft ist. Den radikalen und extremen Positionen geht es nie um ein gleichwertiges Miteinander. Es geht immer um Ausgrenzung und die Interessen Einzelner anstelle des Gemeinwohls, an allen Rändern und dahinter.

Dabei wäre es denkbar einfach. Wir müssen einander zuhören. Allen und gleich.

Deshalb liebe Leserin, lieber Leser, tu mir folgenden Gefallen. Erkenne, warum du mit dir zufrieden und glücklich sein kannst. Vielleicht schreibst du es dir einfach auf oder sprichst es laut aus. Du bist besonders, allein schon, weil du da bist. Als Erdenbürger und Mitglied unserer Gesellschaft. Und mit dieser Erkenntnis höre den Menschen in deinem Umfeld genau zu. Lass dir von ihren gedanken und Gefühlen erzählen und stelle vielleicht die eine oder andere Frage, wenn du dabei mehr erfahren möchtest. 

Lass uns einander wieder wahrnehmen und wertschätzend betrachten, um so für ein besseres Miteinander in unserer Gesellschaft zu wirken. Eine jede und ein jeder in seinem Bereich und Umfeld, bis wir die ganze Gesellschaft erfasst haben.

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